Im November 2021 stehe ich auf der GREATOR Bühne. Ich erzähle aus meinem Leben.

Ich erzähle von einem meiner tiefsten Punkte der beruflichen Karriere und in meinem privaten Umfeld.

Im Jahr 2017 fühle ich mich antriebslos und erschöpft, habe Schlafprobleme, kann mich nicht mehr richtig konzentrieren, depressive Stimmungsschwankungen, dazu kommen somatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Verspannungen.

Wer dies in Zusammenhang mit einem Job hört, schließt oft unmittelbar auf einen Burnout.
Hatte ich also einen Burnout? Nun ja, Investmentbanker, seit 26 Jahren im Job, 50 Lebensjahre – symptomatisch gesehen liegt diese Diagnose nahe.

Trotzdem fühlt es sich „komisch“ an, es ist nicht hundert Prozent stimmig. Ich kann es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht greifen oder begreifen.

Ich gehe nicht zu einem Arzt oder Psychotherapeuten. Ich habe Angst, große Angst. Ich bin zu dem Zeitpunkt der Team Head eines der erfolgreichsten Banken Währungs-Sales Teams für den deutschsprachigen Raum. Budgetverantwortung im hohen zweistelligen Millionen-bereich. Mein Energieniveau ist zwar zu diesem Zeitpunkt auf einem Tief, aber ich darf keine Schwäche zeigen. Ich bin mir sicher, wenn ich jetzt Schwäche zeige und der Arzt die Diagnose Burnout stelle, könnte es mein Karriere aus sein.

Einige Monate zuvor spreche ich meinen Vorgesetzten darauf an, dass ich Ambitionen habe, die nicht besetzte Stelle des stellvertretenden Abteilungsleiters zu besetzen. Doch Personalentwicklung gehört nicht zu seinen Stärken. Dabei geht es gar nicht um mich als Person. Es ist nicht die Frage, dass ich nicht das Potential hätte, diese Position erfolgreich zu bekleiden. Es ist der Bereich, aus dem ich komme. Das Produkt, dass ich seit über 25 Jahren mehr als erfolgreich verkaufe, Devisen, Währungen, Währungsmanagement. Das Produkt trägt zu mehr als zwanzig Prozent zu seinem Abteilungsbudgets bei, aber es reicht ihm nicht eine Personalentscheidung zu treffen.

Für mich bedeutet sein Nein, das Ende der Fahnenstange meiner Karriere. Seit diesem Gespräch sinkt mein Motivationslevel jeden Tag, den ich zur Arbeit gehe. Jeden Tag wird es mühseliger aufzustehen und gute Miene zu machen. Ich verliere den Sinn in meiner Arbeit.

In mir macht sich ein Gefühl der Unterforderung breit – Qualifikation und Anforderungen passen für mich nicht mehr. Ich habe keine Lust auf diese Arbeit, keine Lust auf Kollegen, Vorgesetzte und Mitarbeiter, keine Lust mehr auf Kunden, keine Lust mehr auf Währungen.

Ich bin definitiv nicht arbeitsüberlastet. Es ist kein Stress, der aus einer Überforderung herkommt, der mich krank macht. Doch diese Symptome, sind doch eindeutig! Jeder spricht über diesen Burnout. In den administrativen Abteilungen der Bank, klagen die Kollegen an Überforderung. In vielen Fällen wäre es richtiger zu sagen, dass die quantitative Arbeitsbelastung hoch ist, aber die qualitative Qualifikation über den Anforderungen liegt. Die Angst den Job zu verlieren, ist in vielen Fällen hoch – wie es bei mir der Fall war.

Wenige Monate nach dem GREATOR Auftritt, fällt mir ein Fachmagazin in die Hände. Während ich einen der Artikel lese, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Der Artikel beschreibt ein psychologisches Phänomen, das mehr und mehr um sich greift – abseits des Burnouts. Es geht um Boreout! Übersetzt heißt es soviel wie Ausgelangweiltsein, der Gegensatz zum Ausgebranntsein.


Ich habe diesen Begriff nie zuvor gehört, doch das was ichin dem Magazin lese bestätigt mir, die Symptome, Gefühle, Gegebenheiten, vor allem die Ursachen treffen bei mir zu 100% zu.

Es beginnt für mich eine interessante Reise, mich selbst wiederzufinden, fünf Jahre nachdem ich meinen Bankjob an den Nagel gehangen habe.

Je mehr ich in das Thema eintauche, wird mir eines klar. Hunderte, Tausende, Zehntausende Arbeitnehmer befinden sich in einem ähnlichen Zustand. Doch das Thema Boreoout ist bis heute noch zu unbekannt und unerforscht.

Während der Burnout mittlerweile durch die World Health Organisation WHO die notwendige Anerkennung findet, werden Boreout Betroffene als Faulenzer bezeichnet. Wer mag sich da schon outen?

Boreout Betroffene leiden in vielen Fällen unter großen Schuldgefühlen. Wer gibt schon gerne zu, dass die geleistete Arbeit die Bezahlung, das Gehalt nicht widerspiegelt. Das Selbstwertgefühl schwindet, denn es wird mir bewusst, dass die Arbeit nicht nur zeitlich, sondern auch intellektuell unterfordert.

Jede Gelegenheit nehme ich wahr, um mich vom Arbeitsplatz zu entfernen, für einen Plausch mit den Kollegen, eine weitere Tasse Kaffee. Ein Dienstgang im Haus, kann schon mal zu einer Exkursion werden. Nur nicht auffallen – und deshalb spiegle ich einfach mal Vielbeschäftigung vor. Vorgeschobene und verbreitete Hektik und je häufiger ich das tue, desto besser funktioniert die Täuschung. Erfinderisch wird privat im Internet gesurft. Langeweile macht sich breit, und das stresst mich auf Dauer. Ich habe Dauerstress aus Langeweile – und – weil mir der Sinn in der Arbeit fehlt.

Aber, der Ergebnisbeitrag von meinem Team und mir hat keinen Grund zur Beanstandung. Die Erträge sind mehr als zufriedenstellend, mit einem Wachstum von 30-40% pro Jahr und das bereits seit 7 Jahren.

Währungen sind einfach eine sichere Bank, was den Ergebnisbeitrag für eine Bank angeht. Wenn man weiß damit umzugehen! Aber meine 25 Jahre Berufserfahrungen bei internationalen Investmentbanken werden nicht (mehr) wahrgenommen. Ich fühle mich nicht mehr respektiert oder wertgeschätzt. Heute weiß ich, dass meine innere Kündigung schon einige Zeit im Außen geschwelt hat.

Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem es nicht mehr weitergeht. Es ist eine Frage der Zeit, bis ich mich entschieden habe, der Bank und der Finanzindustrie den Rücken zu kehren.


Boreout ist kein Luxusproblem. Es gibt mehr Betroffene als viele von uns denken. Jeder 7. Mitarbeiter soll betroffen bzw. gefährdet sein.

Die meisten wissen und verstehen nicht, was gerade in ihnen vorgeht. Genau das, was über Jahre, vielleicht Jahrzehnte, im Lebensmittelpunkt stand, ist plötzlich nicht mehr wichtig. Was passiert, wenn die Kompassnadel sich nicht mehr ausrichtet, weil es Störfelder gibt?

Wenn die Orientierung geht verloren, macht sich Angst breit.

In den letzten 4-5 Jahren konnte ich mir selbst helfen, die Orientierung wieder zu finden. Der Weg war nicht einfach, geradlinig schon gar nicht. Doch es schafft Befriedigung Grenzen zu sehen und zu testen, nur um herauszufinden, dass die Grenzen allein im Kopf sind und Glaubenssätze aufgelöst werden können.

 

 

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